Warum aus Charlie Chaplin ein großartiger Alpinist geworden wäre, weshalb Lügenbaron Münchhausen nicht nur sehr einfallsreich, sondern auch bärenstark gewesen sein muss und wieso es sinnvoll sein kann, sich selbst Steine in den Weg zu legen: Beim Alpin- und Gletscherkurs mit Climbing Solutions am Dachstein lernst du nicht nur, wie du vom Wanderer zum Alpinisten wirst, sondern auch fürs Leben. Ein Erfahrungsbericht von Judith Pointner.
- Unterschätze niemals den Hüttenzustieg!
Montag, 13 Uhr, 2700 Meter Seehöhe. Endlose weiß-graue Weiten, fetzblauer Himmel und eine Sonne, die erbarmungslos vom Himmel brennt. Im Tal hat es 35 Grad, hier oben sind es geschätzte 20. Und mittendrin in der alpinen Bilderbuchwelt: fünf kleine Punkte, verbunden durch ein Seil. Das sind wir, auf dem Weg von der Südwandbahn-Bergstation zur Simonyhütte. Gut zwei Stunden soll der Hüttenzustieg dauern, nicht einmal fünf Kilometer und rund 600 Höhenmeter sind zu bewältigen. Ein Spaziergang, denkt die konditionsstarke Wandersfrau – und wird bald eines Besseren belehrt. Denn mit Steigeisen, Pickel, Gepäck für fünf Tage im Rucksack und einem 50-Meter-Seil um die Schultern geht es sich nicht ganz so leichtfüßig wie gewohnt. Schnell wird klar: Mehr ist in diesem Fall weniger gut. Von der Packliste wird frau beim nächsten Mal einige Dinge streichen müssen.
- Zusammen ist man weniger allein
Gerade einmal eine Stunde sind wir unterwegs, als einer der fünf kleinen Punkte plötzlich ein Stück nach unten rutscht. Ein unachtsamer Schritt im Firn war es, der noch schlimmer hätte enden können: Einer der Teilnehmer stürzt am Gletscher, an Weitergehen ist vorerst nicht zu denken. Der erblasste Alpinisten-Anwärter wird kameradschaftlich mit Traubenzucker und Wasser versorgt, das in Mitleidenschaft gezogene Knie notdürftig verarztet. Gut, dass das Kinesio-Tape noch nicht von der Packliste gestrichen worden ist. Nach gut zwanzig bangen Minuten im Schnee können wir aufatmen: Der Hubschrauber bleibt am Boden. Wir schaffen es langsam, aber sicher zu unserem Basecamp für die nächsten fünf Tage. Die Simonyhütte erreichen wir verspätet, aber – und das ist das Wichtigste – gemeinsam.
- Charlie Chaplin wäre ein großartiger Alpinist geworden
Mit Sir Charles Spencer hätte der Bergführer seine liebe Freude gehabt. Womit die britische Stummfilm-Ikone im alpinen Gelände punkten hätte können? Sein Hut war es nicht, den hätte er gegen einen Helm tauschen müssen. Seine weißen Handschuhe wären bei kühleren Temperaturen und als Sonnenschutz vorteilhaft, aber bald schmutzig. Sein Stock ginge eventuell als Ersatz-Pickel durch. Aber bei Charlie Chaplins Fuß-Stellung hätten die Augen des Bergführers zu leuchten begonnen! Bei der Trittschulung auf rauem Dachsteinkalk lernen wir, dass ein leichtes X in den Haxen optimale Reibung erzeugt und wie man durch eine geschickte Verlagerung des Schwerpunkts auch steile Stücke bergab trittsicher bewältigt. Den Muskelkater in den Oberschenkeln gibt es gratis dazu. Charlie Chaplin hätte sich in sein samtenes Fäustchen gelacht!
- Leg’ dir doch mal Steine in den Weg!
Apropos Trittsicherheit: Nicht nur auf die Reibung kommt es an, sondern auch aufs Gleichgewicht. Und auf starke Seitenbänder. Letztere trainieren wir mit einer Übung, die etwas merkwürdig anmuten mag. Man soll sich und anderen keine Steine in den Weg legen, heißt es. In diesem Fall aber schon. Jeder Teilnehmer sucht sich drei möglichst flache Steine und legt sie sich – man ahnt es schon – in den Weg. Also direkt vor die eigenen Füße. Dann gilt es, möglichst grazil darüber zu balancieren. Fehltritte sind zu vermeiden und die eine oder andere Kniebeuge macht man automatisch mit. Au!
- Ein Prosit auf den Prusik!
Gib’ Acht, Knotenkunde! Der Achterknoten ist der erste, den uns der Bergführer zeigt. Immerhin brauchen wir ihn schon beim Hüttenzustieg, um uns in die Seilschaft einzubinden. In immer wieder eingestreuten Lektionen lernen geschickte und aufmerksame Teilnehmer auch, wie und wozu man einen Prusik bindet, was es mit dem weichen Auge auf sich hat und dass der Mast-Wurf nichts mit der Schweinezucht zu tun hat. Wer besonders strebsam ist, der übt abends am Hüttentisch weiter. Die anderen rufen ihm zu: Ein Prosit auf den Prusik!
- Münchhausen muss unheimlich stark gewesen sein
Verdammt sei dieser Lügenbaron, denkt sich frau, als sie über eine Geländekante hängend am Seil baumelt. Was Münchhausen mit der Selbstrettung aus einer Gletscherspalte zu tun hat? Nun, der deutsche Adelige, der es mit der Wahrheit nicht immer ganz so genau genommen hat, tischte seinen Zuhörern Mitte des 18. Jahrhunderts folgende Geschichte auf: Er will sich selbst und auch sein Pferd an seinem Haarzopf aus einem Sumpf gezogen und sich so vor dem Tod bewahrt haben. Na, Gratulation! Was Münchhausen damals scheinbar ganz leicht fiel, bedarf in Wirklichkeit viel Stärke. Münchhausen-Technik nennt sich jene Praxis, mithilfe derer man sich angeblich selbst aus einer Gletscherspalte retten kann. Gut nur, dass der Bergführer helfend zur Stelle war, sonst hinge eine Teilnehmerin wohl heute noch dort. Aber bekanntlich ist ja noch keine Meisterin vom Himmel gefallen und vermutlich auch noch keine in eine Gletscherspalte.
- Tote Männer retten Lebende
Wenn es mit der Selbstrettung nicht ganz zu gut klappt, ist man am besten mit mehreren starken Berg-Kameraden unterwegs und hofft darauf, dass diese schon einmal etwas vom “Toten Mann” gehört haben. Das sollten sie zumindest, sofern sie sich in Seilschaft auf einen Gletscher begeben. So wird nämlich die T-Anker-Technik bezeichnet, die es einer Seilschaft ermöglicht, eines ihrer Mitglieder mit Hilfe eines im Schnee eingegrabenen Pickel, Armkraft und denkwürdigem Knotensystem aus einer Spalte zu ziehen. Und wieder zeigt sich: Im Team geht vieles leichter!
- Auch ein Absturz will geübt sein!
Gemeint ist nicht der Absturz auf der Hütte, sondern jener im Firn. Wie aufmerksame Leser bereits wissen, passiert es bei weicher Schneeauflage oft schneller als gedacht, dass ein Fuß wegrutscht. Ist das Gelände steil, kann das eine rasante Rutschpartie zur Folge haben. Sie sollte mittels Liegestützposition möglichst schnell beendet werden. Das korrekte Bremsen im Firn wird einen Nachmittag lang spielerisch auf einem steilen Hang trainiert. Ein bisschen fühlt man sich dabei wie ein Kleinkind im Schnee. Motivierte haben die Möglichkeit, abends auch noch den Absturz auf der Hütte zu proben. Allerdings auf eigene Gefahr.
- Spitze Gegenstände helfen in Schieflage
Rau und grau ist es, das ewige Eis. Bedingt durch die Klimaerwärmung wird es Jahr für Jahr weiter zurückgedrängt, im Sommer kommt es in hohen Lagen trotzdem vielerorts zum Vorschein. Wer sich auf dem steilen Buckel eines Gletschers sicher fortbewegen will, greift zu spitzen Gegenständen: Steigeisen an den Füßen, Pickel in der dem Hang zugewandten Hand. Der Bergführer zeigt uns, wie man die Krallen, nachdem man sie vorschriftsgemäß an den steigeisenfesten Schuhen befestigt hat, richtig ins Eis schlägt, um nicht abzurutschen und wie man mittels Eisschraube oder Sanduhr am Gletscher ordnungsgemäß sichert. Zum Abschluss der Einheit dürfen wir sogar noch mehr als einen Tiefblick in den eisblauen Riesen am Dachstein werfen. Mit der neu erlernten Technik schauen wir uns den Gletscher, der sich für uns ein Stück geöffnet hat, von Innen an. Beeindruckend!
- Schnapsen!
Und nein, damit ist nicht der übermäßige Konsum hochprozentiger Getränke in winzig kleinen Gläsern gemeint. Wer mit einem staatlich geprüften Bergführer aus dem Mühlviertel unterwegs ist, der kommt an den langen, aber niemals langweiligen Abenden auf der Simonyhütte in einen besonderen Genuss. Er oder sie darf das traditionsreiche Kartenspiel aus erster Hand erlernen. Wie der Oberösterreicher sagen würde: A ka Bemmerl – äh – Bummerl!
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